Geschichten

Der Baumarchivar

Michel Brunner hat in ganz Europa rund 5000 teils jahrhundertealte Bäume dokumentiert. Der Gestalter der Briefmarkenserie «Bäume» erzählt uns, woher seine Leidenschaft kommt, welches sein Lieblingsbaum ist und welchen Gefahren man sich beim Bäumevermessen aussetzt.

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Michel Brunner stützt sich am Ast einer jahrhundertealten Linde ab.
«Diese uralten Bäume sind einzigartig, jenseits der Norm, jeder hat eine Persönlichkeit, eine Geschichte, und deswegen müssen sie uns erhalten bleiben. Wenn ich auf einem Spaziergang nur junge Bäume sehen würde, wäre das wie durch eine Stadt zu gehen, in der nur Zwanzigjährige leben...», erzählt uns Michel Brunner der Gestalter der Sondermarkenserie «Bäume». (Copyright: Dominique Meienberg)

Andächtig legt Michel Brunner seine Hand auf die raue Rinde der uralten Linde. Man meint, eine Verbindung zu spüren zwischen der Ruhe in Michels Bewegungen und seiner Stimme und dem Frieden, den der Baum ausstrahlt. Dann greift er mit der Hand in die Erde und zwischen die Wurzeln der alten Linde. «Hier hat sich ein Teil des Baums abgelöst, und Wurzeln sind zutage getreten, die im Innern entlang des hohlen Stamms nach oben führen, um der Pflanze nährenden Saft zuzuführen». Wir stehen im Hirzel, nahe der Kantonsgrenze von Zürich und Zug. Die Augen erfreuen sich an der Schönheit der idyllischen Landschaft. Auf jedem Hügel thront eine Linde. «Die Bäume enthalten viel Wasser und ziehen deshalb Blitze an. Auch aus diesem Grund wurden sie in der Nähe von Bauernhöfen gepflanzt», erläutert Michel.

Der 43-jährige aus Glattbrugg ist vielseitig: Er arbeitet als wissenschaftlicher Illustrator, Fotograf, Baumpfleger, Berater und Exkursionsleiter. All diese Tätigkeiten verbindet seine Liebe zu Bäumen, die bis in die Kindheit zurückreicht. «Als Kind verbrachte ich meine Ferien im Emmental. In der Nähe des Bauernhofs, auf dem wir wohnten, steht die alte Leuenbergerlinde, auf deren Äste ich den ganzen Tag herumkletterte. Und jedes Jahr traf ich sie wieder an, wie eine alte Freundin», erinnert sich Michel. Dort, im Emmental, nimmt seine Recherche über die ältesten Bäume Europas ihren Anfang.

Eine Hand ruht auf der zerklüftete Rinde eines Baumes.

Eine wütende Kuh

Seit 1997 hat er 5000 Bäume dokumentiert. Er hat sie aufgespürt, vermessen, fotografiert und sich wo immer möglich von den Menschen, die in der Nähe wohnten, die Geschichte der Bäume erzählen lassen und diese aufgeschrieben. Eine ungefährliche Tätigkeit, könnte man meinen, aber das ist sie nicht immer: In Frankreich war Michel einmal dabei, einen Baum zu erfassen, als urplötzlich eine Charolais-Kuh auftauchte und ihn angriff. «Ich hatte das Kalb, dass sie beschützte im hohen Gras überhaupt nicht gesehen! Mit einem Sprung über den Zaun konnte ich mich gerade noch in Sicherheit bringen!»

Copyright: Dominique Meienberg

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Michels Leidenschaft für die uralten Bäume lässt die Leute oft staunen. Wie zum Beispiel damals in Ostfriesland, als er vor einer über tausendjährigen Linde mit einem Stammumfang von 18 Metern und einer Krone von 110 Metern vor Freude regelrecht durchdrehte. Oder wenn er Orte in Europa nicht mit Städten, Flüssen oder Sehenswürdigkeiten, sondern alten Bäumen in Verbindung bringt. «Die Pracht dieser Bäume und die Fähigkeit der Natur, sich an die Umweltbedingungen anzupassen, beeindrucken mich. Diese uralten Bäume sind einzigartig, jenseits der Norm, jeder hat eine Persönlichkeit, eine Geschichte, und deswegen müssen sie uns erhalten bleiben. Wenn ich auf einem Spaziergang nur junge Bäume sehen würde, wäre das wie durch eine Stadt zu gehen, in der nur Zwanzigjährige leben.»

Michel Brunner sitzt am Fusse einer jahrhundertealten Linde, im Hintergrund eine idyllische Landschaft.
Copyright: Dominique Meienberg

Sein breites Wissen über die Pflanzenwelt nutzt Michel auch in seiner Freizeit: In seinem 400 m2 grossen Garten zieht er rund 200 Arten. Er wendet die Prinzipien der Permakultur an und versucht, Arten wieder einzuführen, die heute selten geworden sind, aber besser an die durch den Klimawandel verursachten Bedingungen angepasst sind. Jetzt im Herbst verbringt er seine Abende damit, zusammen mit seiner Frau getrocknete Pflaumen und Apfelmus für den Winter zuzubereiten.

Sein Lieblingsbaum ist die Wildbirne, wegen ihrer idealen Proportionen zwischen Stamm und Krone. Sie hat ein schönes herbstliches Laubkleid, trägt Blüten und bildet mit ihrer Krone eine Art Baldachin. «Es gibt alte Exemplare von über 300 Jahren mit einem Stammumfang von über sieben Metern.»

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Die Briefmarken der Sondermarkenserie sind in den Philatelie- und Poststellen sowie auf postshop.ch erhältlich.

Riesig in der Natur, winzig auf der Marke

Die Bäume sind Inspirationsquelle nicht nur für Michel, sondern auch für die Briefmarkenserie, die er für die Post gestalten darf. Ursprünglich hat die Post ihn kontaktiert, um von seinem Wissen Gebrauch machen zu können. Dass man sich auch für die Umsetzung der Illustrationen gefunden hat, war zusätzlich schön. «Das Format der Briefmarken war zugegebenermassen eine Herausforderung. Aufgrund des Themas war es klar, dass ein natürliches Papier wie das Munken verwendet werden soll.» Michel hat die vier Marken und den Handstempel gestaltet. «Mein Grossvater war ein leidenschaftlicher Philatelist. Wenn er noch leben würde, wäre er sicher sehr erfreut über diese Briefmarken!»

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