Menschen

«Arbeitgeber sehen oft nicht die Kompetenzen einer Person, sondern nur deren Behinderung.»

Jolanda Schönenberger ist blind und hat in ihrem Alltag mit Hindernissen zu kämpfen. Wie erlebt sie die Barrierefreiheit bei der Post?

Claudia Langenegger

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Jolanda Schönenberger an ihrem Arbeitsplatz.
Jolanda Schönenberger ist blind und absolviert ein Praktikum als Übersetzerin im Sprachdienst der Post. Copyright: Annette Boutellier

Ein langer Sommerrock und silberne Sandalen, lockige Haare, brauner Teint, ein weisser Stock in der Hand und zwei verschleierte Augen – Jolanda Schönenberger ist blind und absolviert ein Praktikum als Übersetzerin im Sprachdienst der Post. «Ich erkenne manchmal nur noch ganz helles Licht, mehr nicht», sagt die Sankt Gallerin.

Wie kann sie denn als blinder Mensch am Computer arbeiten? «Mit einer Sprachausgabe», antwortet die Übersetzerin. «Das Programm liest mir alles vor. Willst Du mal hören?», fragt sie und schon liest die Computerstimme laut in rasendem Tempo vor. Vor Stellenantritt haben IT-Spezialisten ihre Programme auf Barrierefreiheit geprüft, die Sprachausgabe erweitert und Jolanda Schönenberger ist mit einer Mobilitätstrainerin das Bürogebäude im Berner Wankdorf abgegangen. Sie lernte so die Wege kennen und weiss nun, wo der Lift ist und wo die Cafeteria, sie weiss, wo die Treppe beginnt, kennt die Bodenbeläge und die Geräusche und Gerüche.

Mit Geduld und viel Humor

«Am Anfang war es anstrengend, es brauchte Geduld», erinnert sich die 30-Jährige. «Mein Team ist glücklicherweise mega verständnisvoll und geduldig.» In ihrem Alltag ist auch Humor sehr wichtig. «Oft mache ich Witzli über meine Sehbehinderung, das nimmt den Leuten die Berührungsängste.»

Jolanda Schönenberger am spazieren. Ein Blindenstock hilft ihr bei der Orientierung.
Jolanda Schönenberger ist mit einer starken Sehbeeinträchtigung geboren. Copyright: Annette Boutellier

Jolanda Schönenberger ist mit einer starken Sehbeeinträchtigung geboren. Lange sah sie noch 10 Prozent, trug eine Brille mit Gläsern, die dick waren wie Flaschenböden, und besuchte die öffentliche Schule. Sie fuhr Velo und las Bücher. «Ich hielt die Texte zum Lesen ganz nahe vor mein Gesicht.» Mit 13 Jahren wechselte sie in die Schule für Blinde und Sehbehinderte nach Zollikofen (BE). Nach dem Gymnasium studierte sie in Genf, Winterthur und im Ausland.

Digitale Welt macht sichtbar

Als sie wegen Netzhautablösungen den Rest ihres Sehvermögens verlor, fing Jolanda Schönenberger an, am Computer die Sprachausgabe zu benutzen: «Dank der Digitalisierung ist vieles einfacher und zugänglicher geworden.» Wenn sie am Postomaten Geld abheben will, kann sie Kopfhörer einstecken. Aber: «Ich weiss auswendig, wo ich bei welchem Piepton drücken muss.» Sie weiss, dass es für Menschen mit Behinderungen sehr schwierig ist, überhaupt zu Bewerbungsgesprächen eingeladen zu werden. «Arbeitgeber sehen oft nicht die Kompetenzen einer Person, sondern nur deren Behinderung.» Es müsste mehr getan werden. «Beispielsweise mit zusätzlichen Anreizen für Arbeitgeberinnen oder einer vorübergehenden Behindertenquote.»

Im Sprachdienst fühlt sich Jolanda Schönenberger extrem wohl, und sie möchte nach ihrem Praktikum gerne weiterhin für die Post arbeiten. «Die Haltung des Sprachdiensts sowie die Offenheit und Hilfsbereitschaft meiner Kolleginnen und Kollegen sind schlicht beispielhaft.»

verfasst von

Claudia Langenegger

Redaktorin