Geschichten

«Endlich durfte ich mitreden»

Germaine Zenhäusern ist die Tochter der ersten Schweizer Stimmbürgerin. Sie erzählt, wie mutig die Unterbächer Frauen damals waren und wie die Politik seither ihr Leben prägt.

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Germaine Zenhäusern (69) Foto: Isabelle Favre
Germaine Zenhäusern (69) Foto: Isabelle Favre

Illegale Aktion im Bergdorf

Am 3. März 1957 geschah im Oberwalliser Dorf Unterbäch Unglaubliches. Bei der Gemeindeabstimmung für den obligatorischen Zivildienst für Frauen gingen 33 von 88 Dorfbewohnerinnen an die Urne. Diese rechtswidrige Aktion wurde vom damaligen Unterbächer Gemeindepräsidenten Paul Zenhäusern und von Peter von Roten (Ehemann der Frauenrechtlerin Iris von Roten) initiiert. Die Stimmen wurden nie ausgezählt. Als erste Schweizerin legte Katharina Zenhäusern ihren Stimmzettel in die Urne. Sie verstarb 2014 im Alter von 95 Jahren.

Frau Zenhäusern, sind Sie stolz auf Ihre Mutter?

Natürlich! Alle 33 Frauen, die damals den Schritt an die Urne wagten, waren wahnsinnig stolz auf ihre Aktion. Und sogar meine damals 80-jährige Grossmutter war dabei. Auch sie setzte sich zeitlebens für Gleichberechtigung ein.

«Sogar die New York Times berichtete darüber.»

Sie waren damals erst 6-Jährig. Erinnern Sie sich überhaupt noch daran?

Ja, an den vielen Trubel im Dorf! Auch in unserem Wohnzimmer ging es lebhaft zu und her. Viele Journalisten stellten Fragen und auch das Fernsehen war mit einem Kamerateam da. Sogar die «New York Times» hat darüber berichtet. 

Wie waren die Reaktionen aus dem Umfeld?

Es gab zu jener Zeit zwei Parteien im Dorf – die CVP und die CSP. Wenn eine Partei dafür war, dann war die andere Partei dagegen und umgekehrt. Die Gegner bekundeten lautstark, dass sie gegen den Urnengang der Frauen waren. Aber jeder hat das Recht seine Meinung zu äussern.

Weshalb kam es gerade in Ihrem Dorf zu dieser mutigen Aktion?

Wenn ein Mann keine Arbeit bei der Lonza fand, so arbeitete er auswärts. Die Frauen mussten sich also alleine um die Landwirtschaft und die Kinder kümmern. Deshalb waren die Unterbächerinnen schon früh äusserst selbständig und traten auch sehr selbstbewusst auf.

Wie wichtig war die Politik in Ihrem Elternhaus?

Bei uns wurde am Familientisch immer lebhaft über Politik diskutiert. Meine Mutter hatte sich immer schon für gleiche Rechte von Mann und Frau eingesetzt – gleicher Lohn oder Mutterschaftsurlaub. Sie fand zudem, dass wir Frauen zu wenig miteinander verbunden seien. Dies ist heute anders: Es gibt viele Netzwerke, die sich mit Frauenfragen auseinandersetzen.

Germaine Zenhäusern engagiert sich seit jeher für Frauenfragen und in Frauenvereinen. Foto: Isabelle Favre
Germaine Zenhäusern engagiert sich seit jeher für Frauenfragen und in Frauenvereinen. Foto: Isabelle Favre

Wann waren Sie das erste Mal an der Urne?

Mit 20 Jahren durfte ich endlich mitreden! Denn Gleichberechtigung war für mich schon von Kindesbeinen an etwas Selbstverständliches. Seither habe ich keine Abstimmung mehr verpasst – ausser einer, da war ich in den Ferien.

Sind Sie auch heute noch an Politik interessiert?

Diese Geschichte und mein Umfeld haben mich natürlich geprägt. Das ganze Leben hängt mit Politik zusammen. Ich ging zwar nie direkt in die Politik, engagiere mich aber seit jeher für Frauenfragen und in Frauenvereinen.

Was wünschen Sie sich für die jungen Frauen?

Ich würde es begrüssen, wenn noch mehr Frauen im Parlament wären. Denn sie konnten in kurzer Zeit schon viel bewirken. Und davon profitieren schlussendlich alle Frauen.

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Insgesamt 16 Mal wurde in der Schweiz über das Stimm- und Wahlrecht für Frauen abgestimmt, ehe am 7. Februar 1971 das Ja auf nationaler Ebene kam. Zum 50-jährigen Bestehen des Frauenstimmrechts gibt die Post eine Briefmarke heraus.

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