Menschen

Morgens verteilt er die Post, nachmittags fertigt er Urnen

Damiano Virgolin arbeitet als Pöstler und als Künstler. Die Faszination für Gussarbeiten und für das Material Ton hat ihn zu seinem aktuellen Kunstobjekt geführt: der Urne.

Susanna Stalder

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Damiano Virgolin mit seiner Urne im Treppenhaus des Gebäudes, wo sich sein provisorisches Studio befindet.
Damiano Virgolin im Treppenhaus des Gebäudes, wo er ein Studio für seine Kunstarbeit gemietet hat. (Copyright: Joan Minder)

Windig und grau ist es an diesem Märznachmittag in Bad Ragaz. Der Ort gehört noch zum Kanton St. Gallen, gleich dahinter liegt Graubünden. Damiano Virgolin stellt sein Velo vor einem unscheinbaren zweistöckigen Gebäude ab. Er kommt direkt von seiner Arbeit als Postbote. Im Dachstock des Gebäudes, eines ehemaligen Hotels, hat er ein Studio für seine Kunstarbeit gemietet. «Es ist nur für zwei, drei Monate, bald richte ich ein Atelier in meiner neuen Wohnung ein», sagt er. Unter dem Dachfenster steht sein Werktisch, der Boden ist mit Folie abgedeckt. Überall liegt eine feine Schicht von Tonpartikeln. Bei seinem aktuellen Projekt «Curatoria» befasst sich Damiano Virgolin mit den Themen Tod und Trauer: Er gestaltet Trauerkarten und fertigt Urnen. Wie ist der 24-Jährige dazu gekommen?

Nahaufnahme Damiano Virgolin
Copyright: Joan Minder

«Vor etwa vier Jahren ist jemand aus dem Freundeskreis meiner Eltern gestorben. Ich wollte den Angehörigen eine ganz persönliche Trauerkarte schicken und gestaltete deshalb selbst eine.» Mit Drucktechniken kannte er sich aus, da er den Vorkurs der Schule für Kunst und Design in Zürich besucht hatte. Die Karte kam gut an, seine Arbeit sprach sich herum und es folgten weitere Anfragen. «Ich gehe aber nicht auf Kundenwünsche ein, sondern mache als Künstler ein Angebot: Man kann dieses annehmen oder nicht», sagt er bestimmt.

Die Urnen kamen später dazu. Den Gedanken, solche Gefässe herzustellen, trug Damiano Virgolin schon länger mit sich herum. «Mich interessierten der Prozess und die technischen Aspekte». Gussarbeiten reizten ihn, seit er als Teenager eine Giesserei besucht hatte und dort vom Licht, dem Geruch und der Hitze fasziniert gewesen war. Bevor er seine erste Urne anfertigte, sprach er mit einem Bestatter: «Es war ein überraschendes und tiefgründiges Gespräch, eher über das Leben als über den Tod».

Damiano Virgolins Hände an der noch ungebrannten und unlackierten Urne.
Noch ist diese Urne ungebrannt und unlackiert. (Copyright: Joan Minder)

Geduld ist gefragt

Damiano Virgolin zeigt die beiden Hälften der Urnengussform und erklärt, wie er die Form jeweils mit flüssigem Ton füllt. Diesen giesst er danach wieder aus, so dass nur eine dünne Schicht bleibt. Wer schon einmal Schokoladenosterhasen gegossen hat, kennt das Prinzip. «Es braucht viel Geduld», sagt er. «Eine Woche trocknen lassen, 40 Minuten bearbeiten, wieder trocknen lassen.» Nach dem Trocknen folgen: schleifen, brennen, nochmals schleifen, lackieren. Auch diese Schritte bedeuten Wartezeit. Ein grosser Unterschied zum Job bei der Post. «Mir gefällt beides: morgens die strukturierte, schnelle Arbeit als Briefbote», – sogar das Frühaufstehen möge er inzwischen – «und dann den Rest des Tages die flexible und langsame Arbeit als Künstler.»

Ein Exemplar der noch ungebrannten und unlackierten Urne.
Copyright: Joan Minder

Zwölf Urnen hat er bisher verkauft, die meisten davon seien jedoch nicht auf Friedhöfen zu finden. Ein Käufer zum Beispiel habe die Urne im Schlafzimmer aufgestellt: «Sie erinnert ihn an seine eigene Sterblichkeit und daran, dass man das Leben schätzen sollte.» Damiano Virgolin versteht das. «Ich finde es sehr wichtig, dass man sich mit dem eigenen Tod beschäftigt, auch wenn man noch jung ist.»

Welche Pläne hat er in Bezug auf seine Kunst? «Meine verschiedenen Arbeiten in einer Ausstellung zu präsentieren. Meine Idee dabei: Sie sollen mehrere Sinne ansprechen». Wer weiss, vielleicht wird man seine Kunstwerke also nicht nur betrachten, sondern auch riechen können.

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Susanna Stalder

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