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Postbote im Flow mit einer Leidenschaft für Fotografie und Bewegung

Der Blick von Michel Chesi ist nicht nur starr auf die Strasse gerichtet, wenn er seine Zustelltouren in Neuenburg mit dem Elektrodreirad erledigt. Er geniesst die frische Luft und hält immer Ausschau nach schönen Landschaften für seine Kamera. Zu diesen kehrt er in seiner Freizeit zurück, um seiner Leidenschaft, der Fotografie, zu frönen. Die Liebe zu dieser Leidenschaft hat er entwickelt, seit er bei der Post arbeitet. Und vor Kurzem hatte er seine erste Ausstellung.

Corinne Tschanz

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Michel Chesi mit seiner Kamera auf dem Elektrodreirad.
Michel Chesi, Postbote mit einer Leidenschaft für die Fotografie und immer im Flow.

Postbote in Aktion, ein wenig Poet mit gutem Gespür: So könnte man Michel Chesi beschreiben. Er ist 46-jährig und seit sieben Jahren bei der Post in der Briefzustellregion Neuenburg tätig. «Die Welt und das Leben haben mich schon seit jeher fasziniert, und ich wollte vieles entdecken... Und als ich meine erste eigene Wohnung hatte, wollte ich alles verstehen, was ich früher nicht verstanden habe», erzählt Michel. Also vertiefte er sich in die französische, griechische, russische und amerikanische Literatur, begann dann Gedichte zu schreiben und veröffentlichte seine Essays in sozialen Netzwerken, bevor er in die Quantenphysik eintauchte und an Schulungen zur Persönlichkeitsentwicklung teilnahm. Das war eine Art, sich selbst und die ihn umgebende Welt aus verschiedenen Perspektiven zu erforschen, als wäre er auf der Suche nach dem Leben selbst. «Seit ich mich erinnern kann, bin ich immer in der Rolle des Beobachters, des Träumers, des Aufmerksamen aufgegangen, als wäre ich dazu geboren worden, diese Welt zu erforschen und vielleicht eines Tages einen Bericht darüber vorzulegen.» Seine Anstellung bei der Post markierte den Beginn eines neuen Lebensabschnitts: «Bei Wind und Wetter an der frischen Luft zu sein, ohne die menschlichen Kontakte und teils engen Beziehungen zu vernachlässigen – das ist manchmal wie in einem grossen Theaterstück.» So begann seine Leidenschaft für die Fotografie.

Michel Chesi vor einem seiner Fotos.
Seine Leidenschaft für die Fotografie begann mit seiner Anstellung bei der Post, und seine erste Ausstellung ist das Ergebnis eines Kontakts, den er mit einer Kundin während einer Paketzustellung geknüpft hat.

«Am Anfang meiner Zeit bei der Post machte ich eine schwierige Phase in meinem Leben durch. In dieser Zeit ging ich in schlaflosen Nächten nach draussen, um Fotos zu machen. Ich konnte so Kraft tanken. Ich erinnere mich, dass ich einmal um 3 Uhr morgens mitten auf der Strasse zum Chasseral-Sendeturm stand; so erlernte ich verschiedene Techniken.» Michel ist Autodidakt und hat sich den Umgang mit dem Objektiv durch Dutzende von Tutorials im Internet selbst beigebracht. Er entwickelt die Bilder nicht auf Silbergelatinepapier, alle Bilder sind digital. Er widmet der Fotografie einen Grossteil seiner Freizeit, vor allem auf seinen Reisen nach Griechenland, Frankreich und Italien, aber auch bei seinen Ausflügen durch den Kanton Neuenburg. Dabei erfasst sein Objektiv vor allem Menschen (z. B. Spaziergängerinnen bzw. Spaziergänger im Regen oder von hinten), Bäume, Türen, Fenster und Pferde. Bei diesen Fotografien nutzt er die Spiegelung in Wasserpfützen oder spielt mit Schwarz und Weiss. Alle seine Fotos sind von Poesie, Träumerei und vor allem von Bewegung geprägt. «Ich muss Bewegung in jedes meiner Bilder bringen, sie müssen immer im Flow sein – so, wie wenn ich auf meinem Elektroroller der Post sitze.»

Deshalb spielt Michel mit verschiedenen Techniken: Dazu gehören z. B. spezielle Einstellungen für Nachtaufnahmen, Schwarzfilter für grosse oder kleine Blendenöffnungen, Schwarz-Weiss-Fotografie, impressionistische Fotografie, bei der mehrere Aufnahmen übereinandergelegt werden, um einen Gemäldeeffekt zu erzielen, oder Bewegungsunschärfe. Heute besitzt der Postbote mit der Leidenschaft für die Fotografie Tausende von Fotos, die er auf mehreren Festplatten seines Computers speichert und in sozialen Netzwerken, vor allem auf Facebook und Instagram, sowie auf seiner Website teilt.

Es ist ein Traum, der dank seiner Arbeit als Postbote wahr geworden ist.

Michel realisierte, dass er eine Fülle an Material zu bestimmten Themen zusammengetragen hatte und dass die Zeit reif ist, seine Fotos in einer Ausstellung zu präsentieren. Er weiss jedoch überhaupt nicht, wie er dabei vorgehen soll. Als wissbegieriger und lernwilliger Mensch trifft er sich mit verschiedenen Personen aus der Szene, um Ratschläge und Empfehlungen einzuholen. Bei einem Gespräch mit einer seiner Zustelltour-Kundinnen, die in Chaumont wohnt, geschieht das Entscheidende. Eines Tages klingelt Michel bei ihr, um ein Paket auszuliefern. Sie verstehen sich gut, sie ist eine erfahrene Malerin und hat bereits mehrere Ausstellungen gemacht. Also schlägt sie ihm vor, bei ihrer nächsten Ausstellung im zauberhaften Rahmen der alten Mühle in Bevaix mitzumachen. «Das Ausstellen von Fotos bedeutet für mich nicht einfach, 20 oder 30 meiner schönsten Bilder auszuwählen, sondern ein Thema zu bearbeiten. Michel hat oft zu hören bekommen, dass die Fotografie heute nicht mehr so wichtig sei, da jede bzw. jeder mit einem Mobiltelefon schöne Bilder schiessen könne. «Ich habe deshalb auf meine Baum-Serie gesetzt, von oben nach unten angeordnete Fotos, die auch leicht für Gemälde gehalten werden könnten.» Dabei handelt es sich insgesamt um 21 Fotografien aus «L'Arbre-Phare», die hauptsächlich in der Region zwischen La Tène, Chaumont, Gorgier und dem Val-de-Ruz sowie in den Montagnes neuchâteloises gemacht wurden. 

Michel Chesi zeigt Fotos, die wie Gemälde aussehen.
Für seine erste Ausstellung hat Michel auf eine Fotoserie zu Bäumen gesetzt. Fotos, die wie Gemälde aussehen und von Leichtigkeit und Sanftheit erfüllt sind.

Und seine erste Ausstellung war ein voller Erfolg: «Nur positive Rückmeldungen, es war unglaublich! Viele Leute waren von den Fotos beeindruckt, da sie einem Gemälde zum Verwechseln ähnlich sehen – zusätzlich sorgte der 3D-Effekt für Bewegung in den Fotos», freut sich Michel und fügt lachend hinzu, dass einige Besuchende ihm anvertraut haben, dass sie die Bilder weder mit noch ohne Brille scharf sehen konnten! Er hatte eigentlich damit gerechnet, dass die Besuchenden seine Fotos nicht kaufen würden, aber nun sind drei Viertel seiner auf Aluminiumplatten aufgezogenen Fotos über den Ladentisch gegangen. «Schluss mit Rahmen und Glas – das ist besser, denn so kann man wirklich in die Materie eintauchen. Es gibt jetzt nichts mehr zwischen den Augen und dem Foto, vor allem keine Reflexionen mehr.

Wie sieht es bei ihm mit Hochzeitsfotos oder einem Weihnachtskalender aus? Das ist nicht so sein Ding, er legt seinen Fokus lieber auf die Kunstfotografie. Er ist ausserdem offizieller Fotograf von JE TÈNE, einer kulturellen Veranstaltung, die alle zwei Jahre in Marin am Neuenburgersee stattfindet. Und Michel hat noch einiges vor: «Ich möchte meine Fotos von Türen und Fenstern mit einem kleinen Text ergänzen, denn hinter einer Tür verbirgt sich eine ganze Symbolik: die Tür zu den Träumen, die Tür zum Herzen (eines Menschen)...»

Eines ist sicher: Michel wird auch in Zukunft mit seiner Kamera auf die Jagd gehen, um den Moment, das Flüchtige und das Leben in Bildern festzuhalten...

verfasst von

Corinne Tschanz

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