Das nächste grosse Ding

Wieder eine neue App, noch ein neuer Social-Media-Kanal. Früher war alles besser und ruhiger. Wirklich?

Ein Portrait von Yannick Mischler.
Janick Mischler
Blog
Vom Computer zum menschlichen Roboter

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Die Digitalisierung krempelt ganze Geschäftsfelder um. Innovationen verändern unseren Alltag. Robotik. Blockchain. Analytics. Big Data. Quantencomputer. Und überhaupt: Wer braucht noch Menschen, wenn’s künstliche Intelligenz gibt? So in etwa der Tenor, den man in den Medien liest. Doch stimmt das wirklich? Hat sich die Welt in den letzten zwanzig Jahren wirklich stärker verändert als früher? Und was genau ist denn eigentlich anders?

Alles gar nicht so wild?

Machen wir eine kleine Feldstudie mit einem Blick aus meinem Büro. Dort erspähe ich Bahnlinien, Betonbauten, Reklametafeln und ein Fitness-Center. Am Horizont reihen sich der Sendeturm auf dem Bantiger, schneebedeckte Berge und der Gurten aneinander. Vor dem Büro verkehren Busse, Lastwagen, Autos, Fahrräder. Im Minutentakt rauschen Züge der SBB oder BLS vorbei – zweistöckig. Die Innensicht ist nur wenig mondäner: Weisse Schreibtische, ergonomische Bürostühle und Flachbildschirme mit Laptop Docking-Station.

Aus dieser Perspektive betrachtet könnten wir genauso gut das Jahr 2000 schreiben. Die Werbung ist etwas moderner geworden, die Bildschirme flacher und die Fahrräder schneller (zumindest dort, wo eine Batterie beim Pedalen hilft). Bei genauerem Hinsehen fällt mir aber die Menschenmenge am Gleis auf, die unisono aufs Smartphone starrt. Vielleicht ist es genau dieser portable Alleskönner, der Aktenkoffer, Bücherei, Digitalkamera, Musikplayer, Spielkonsole und Übersetzer in einem Gerät vereint, der den Wandel der letzten zwanzig Jahre auf den Punkt bringt.

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Ein Bild zeigt den Wandel der letzten zwanzig Jahre. Von der Schreibmaschine zum Computer. Von der Agenda zum Tablet.

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Tschüss Pferde

Eine kleine Zeitreise ins Jahr 1920 zeigt, dass sich die Welt schon damals äusserst schnell und auf dramatische Weise verändert hat. In diese ersten zwei Jahrzehnte des Jahrhunderts fallen epochale Erfindungen wie das Flugzeug, der Rundfunk, der Staubsauger, die Farbfotografie oder die Verbreitung von elektrischem Strom in Haushalten. Henry Ford begann, seine Autos am Fliessband zu bauen. Das machte die wundersamen Gefährte erschwinglich für die breite Arbeiterschicht und die Pferde verschwanden allmählich von der Strasse. Der erste Weltkrieg hat ein neues Zeitalter industrieller Vernichtung entfacht – mit Maschinengewehren, Artillerie, Giftgas und Panzern. In diesen zwanzig Jahren wurde es möglich zu fliegen, die Nacht zum Tag zu machen, sich schneller fortzubewegen und Musik und Sprache «über die Luft» in jeden Haushalt zu übertragen. Ganz nebenbei begründete Max Planck die Quantenmechanik und Albert Einstein die Relativitätstheorie und legten damit die Grundlage für moderne Computer und GPS-Geräte. Die Welt hat sich also auch schon vor der Digitalisierung in rasantem Tempo entwickelt.

Eine (fast) unsichtbare Revolution

Im Unterschied zur industriellen Revolution im 19. Jahrhundert oder der chemisch-elektrischen Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts könnte man die vergangenen zwanzig Jahre eher als eine «unsichtbare Revolution der Information» beschreiben. Äusserlich hat sich die Welt vielleicht nicht gross verändert – dafür haben Smartphones und Internetplattformen unser Leben tiefgreifend geprägt. Die aufs Smartphone starrende Menschenmenge auf Gleis 1 könnte diesen Wandel kaum treffender illustrieren. Ein wesentlicher Unterschied zwischen damals und heute: Wir können dem digitalen Wandel relativ einfach entfliehen, indem wir unser Smartphone ausschalten. Eine solche «Flucht» muss zu Beginn des 20. Jahrhunderts ungleich schwieriger gewesen sein. Flieger, Panzer, Eisenbahnen, Elektrizität oder gar der Krieg kannten keinen «Off-Schalter».

Die grosse äusserliche Veränderung der digitalen Revolution steht vielleicht erst noch bevor. Irgendwann in den nächsten Jahren, wenn Roboter den Haushalt besorgen, sprachgesteuerte Hologramme die Diagnose durch den Arzt ersetzen, Drohnen lebenswichtige Medikamente ausliefern oder fahrerlose Autos die Städte bevölkern. Bis dahin schaue ich gelegentlich aus dem Fenster und versuche, «the next big thing» bei der Post entstehen zu lassen.

 

Bilder: iStock.com/PhonlamaiPhoto (Evolution), iStock.com/elenabs (Illustration)

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verfasst von

Janick Mischler

Leiter Autonomous Delivery & IoT