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Die Postkarte lebt!

Bereits vor 200 Jahren war die Rigi der beliebteste Ausflugsberg Europas. Die Besucher marschierten zu Fuss auf den Gipfel oder liessen sich von Pferden oder in Sänften hinauftragen. Seit 1871 fährt die Rigi-Bergbahn – einst erste Zahnradbahn Europas – von Vitznau hoch zur «Königin der Berge». Mit einer Briefmarke zum 150-jährigen Jubiläum würdigt die Post dieses Ereignis, mit dem sie weit mehr verbindet als das atemberaubende Panorama.

Gabriel Ehrbar, Stefanie Zimmermann

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Vitznau Punkt 9.15 Uhr. Ein Ruck geht durch die nostalgischen Wagons der roten Zugskomposition. Die Zahnräder greifen. Langsam drückt Lokführer Patrik Studhalter den Kontroller nach vorne und bringt die fast 85-jährige Zugskomposition auf die Maximalgeschwindigkeit von 18 km/h. Mit an Bord ist auch Marco Tampini. Seit 31 Jahren ist er Zusteller bei der Post. Neben Vitznau gehört auch die Postzustellung auf der Rigi zu seinen Aufgaben. Er schwärmt: «Habe ich nicht das schönste Büro der Welt?» In der Tat. Sobald wir genügend Höhe gewonnen haben und die Bäume den Blick freigeben, öffnet sich uns eine Welt, die kitschiger nicht sein könnte. Weit unter uns der Vierwaldstättersee, unter der grauen Wolkendecke in metallenem Ton. Dazu der grandiose Blick auf die eindrückliche Bergwelt mit Stanserhorn, Bürgenstock und Pilatus. «Es ist, als würde sich die Natur immer wieder von Neuem erfinden und sich mit all ihrer Pracht präsentieren», sagt Tampini, der schon unzählige Male auf der Rigi war. Das fasziniere ihn jedes Mal.

 
Zusteller Marco Tampini fährt mit der fast 85-jährigen Zahnradbahn hoch auf die Rigi. (Copyright: Fabian Biasio)

Post immer mit an Bord

Seit die erste Zahnradbahn Europas von Vitznau nach Rigi-Kulm 1871 in Betrieb genommen wurde, war auch die Post an Bord und bedient hoch über dem Vierwaldstättersee per Bahn und per Pedes die Haushalte auf und um die Rigi. Nicht zuletzt mit tatkräftiger Unterstützung des Bahnpersonals. Denn in der Regel legt auch dieses Hand an, wenn es um das Beladen und Entladen der Wagons mit Paketen und Briefen geht. Lokführer Studhalter bringt es auf den Punkt: «Eigentlich bin ich fast alles – vom Lokführer über Zugsbegleiter, Kondukteur, Mechaniker bis zum Pöstler, wenn man so will». Man spricht miteinander und hilft einander. Zweifellos, die gemeinsame Geschichte und gemeinsamen Geschichten verbinden. Es überrascht deshalb nicht, dass die Post zum 150-jährigen Jubiläum der Rigi-Bergbahn eine Briefmarke kreiert hat. Sie ist nicht nur eine Würdigung der bahntechnischen Leistung von damals, sondern auch ein Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung.

Die Briefmarke zum 150-jährigen Jubiläum der Rigi Bahnen. Erhältlich in den Filialen der Post und auf postshop.ch.

Im Flug verteilt

Trotz atemberaubendem Panorama und kunstvoller Rigi-Briefmarke: Viel Zeit zum Sinnieren oder gar Träumen bleibt Marco Tampini auf der Bergfahrt nicht. Von Vitznau bis Rigi-Kaltbad heisst es für Lokführer Studhalter alle zwei bis drei Minuten: Fahrt verlangsamen. Dann tritt Marco Tampini in Aktion und deponiert die Postsendungen – quasi im Flug – routiniert in schwarzen Briefkästen, während die Bahn gleichzeitig im Schritttempo in Fahrt bleibt. Bei diesen Kästen holen die Anwohner später ihre Post ab. Sechs solcher Briefkästen gibt es zwischen Vitznau und Rigi-Kaltbad. An drei Stellen hält der Zug auch kurz an, damit Pakete deponiert werden können.

Routiniert deponiert Marco Tampini die Postsendungen während der Fahrt in den Briefkästen am Bahngleis. (Copyright: Fabian Biasio)

Zu Fuss oder per E-Bike

Fahrplanmässig 9.37 Uhr treffen wir auf der Rigi-Staffelhöhe ein. Hier, gleich beim Kräuterhotel Edelweiss, beginnt die eigentliche Zustelltour, wie man sie sich vorstellt. Gut 70 Haushalte gilt es bis hinunter nach Rigi-Kaltbad zu bedienen. Für die etwa fünf Kilometer lange Tour – plus Berg- und Talfahrt – hat Marco Tampini zwei Stunden zur Verfügung. «Das passt in der Regel grad so, wenn man zu Fuss unterwegs ist», sagt er. Im Sommer schwingt er sich in Rigi-Kaltbad für einen Teil der Tour oft auch aufs Post-eigene E-Bike mit Anhänger. Auf rund 1500 Metern über Meer mitten in der zum Teil ausgesetzten Natur kann es aber schon mal eng werden mit dem Zeitplan. So wie zum Beispiel im Januar 2018, als das Sturmtief Burglind mit Böenspitzen von bis zu 200 Stundenkilometern über Europa hinwegfegte. «Ich musste meine Route spontan ändern, weil ich an gewissen exponierten Stellen bei Starkwind und vereisten Wegen einfach nicht mehr vorwärtskam», erinnert sich Tampini. Natürlich hat er auch erfreulichere Geschichten auf Lager. «Da lächelten mich mal drei schöne grosse Steinpilze direkt am Wegrand an», erzählt er, «ich lächelte zurück und steckte sie kurzentschlossen in die Tasche».

Rigi Staffelhöhe: Marco Tampini beginnt mit der eigentlichen Zustelltour. (Copyright: Fabian Biasio)

Nach getaner Arbeit einen Kaffee

Mittlerweile sind wir in Rigi-Kaltbad eingetroffen, wo sich auch das Mineralbad & Spa des Stararchitekten Mario Botta und die Felsenkapelle St. Michael befinden. In der Nähe des Dorfplatzes füttert Marco Tampini erst die Postfächer und belädt im Anschluss einen Handwagen mit den Päckli, die er auf der Bergfahrt an der Bahnstation deponiert hat. Nun geht es auf die letzte Schleife rund um den Ostteil des Dorfes.

11.05 Uhr. Geschafft! Das Beste: Es reicht sogar noch für einen kurzen Kaffee, bevor es um 11.15 Uhr wieder hinunter nach Vitznau geht. Wir setzen uns an einen Tisch vor dem Dorflädeli, das zugleich Postfiliale, Souvenirshop und Café ist. Mittlerweile drückt die Sonne durch die grauen Wolken. Wir blicken hinab auf den Vierwaldstättersee. Und tatsächlich: Das metallene Wasser vom Morgen schimmert jetzt bläulich. Die Postkarte lebt. Wie wahr!

verfasst von

Gabriel Ehrbar, Stefanie Zimmermann

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