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«Neben dem Online-Shopping erlebten auch Hofläden einen regelrechten Boom»

Normalerweise tun wir Menschen uns schwer damit, vertraute Gewohnheiten zu ändern, ausser wir sind – wie jetzt – von einer Krise dazu gezwungen. Der Corona-Ausnahmezustand hat sich jäh auf unseren gesamten Alltag ausgewirkt, auch darauf, wie wir unser Grundbedürfnis nach Nahrung erfüllen. Welche Faktoren im Spiel gewesen sind und welche Trends sich zeigen, erfahren Sie im Interview mit Christine Schäfer, Forscherin am GDI Gottlieb Duttweiler Institute.

Inari Kirchhofer

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Christine Schäfer
Christine Schäfer, MSc BA, ist Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institute. Sie analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Food, Konsum und Handel. Copyright: GDI Gottlieb Duttweiler Institute / Sandra Blaser

Während der Corona-Krise stiegen Online-Einkäufe von Lebensmitteln massiv und haben seither kaum abgenommen. Was ist passiert?

Die Verschiebung in den Online-Kanal beobachten wir schon länger. Die Corona-Krise hat diese aber zusätzlich beschleunigt. Es konnten viele Neukunden gewonnen werden, die das erste Mal Essen online bestellt haben. Dazu können beispielsweise Angehörige von Risikogruppen gezählt werden, die die Supermärkte meiden wollten. Oder vielleicht auch Eltern zwischen Homeoffice und Homeschooling, die mit dem Online-Einkauf zeitliche Engpässe überbrücken konnten. Dass der Online-Anteil auch nach den Lockerungen erhöht bleibt, könnte darauf hinweisen, dass viele Kunden eine erste Hürde überwunden haben. Man hat gemerkt, dass die Qualität stimmt – auch bei Frischprodukten – oder die Einfachheit und Zeitersparnis zu schätzen gelernt. So hat sich eine neue Gewohnheit etabliert.

Beschäftigen wir uns seit der Krise anders mit der Nahrung? 

Neben dem Online-Shopping erlebten auch Hofläden einen regelrechten Boom. Mehr Menschen gingen direkt bei den regionalen Produzenten vorbei, um ihren Einkauf zu erledigen und um zu erleben, wo ihre Lebensmittel herkommen. Ausserdem hatten wegen Kurzarbeit und dem Wegfall anderer Aktivitäten mehr Menschen Zeit und Musse, selber zu Produzenten zu werden: gärtnern, backen, kochen, einmachen, neue Rezepte ausprobieren waren plötzlich hoch im Kurs. Gesundes Essen gewann an Bedeutung, aber auch «comfort foods» – also jene Nahrungsmittel, die vor allem die Seele glücklich machen – spielten eine wichtige Rolle. Die äussere Bedrohung durch die Krise hat das Bedürfnis der Menschen nach Geborgenheit verstärkt. Diese Geborgenheit fanden einige in der intensiven Auseinandersetzung mit ihrem Essen.

Mit einem Restaurantbesuch erfüllen wir unsere Grundbedürfnisse nach Nahrung und sozialen Kontakten und erleben gleichzeitig Abwechslung. Wie war das während des Lockdown?

Auf die gewohnten sozialen Kontakte mussten wir länger verzichten. Das war wohl gerade für Alleinstehende am schwierigsten. Virtuelle Kaffeepausen und Aperos dienten als eine Form der Kompensation. Die direkte zwischenmenschliche Interaktion kann das aber natürlich nicht ersetzen.

Per Mausklick kommt alles nach Hause: von Lebensmitteln über Zutaten für einen Mehrgänger bis zu genussbereiten Speisen. Werden wir den Restaurants bald untreu?

Schwierig zu sagen. In die Restaurants gehen wir oft wegen des Erlebnisses oder der erwähnten sozialen Komponente. Ich würde eher sagen, dass Online-Angebote ein selbstgekochtes Essen ersetzen, wenn Zeit oder Lust fehlen, selber den Kochlöffel zu schwingen. Nicht zu ignorieren ist die wirtschaftliche Lage. Als Folge der Krise müssen mehr Leute aufs Geld schauen und darum wohl öfter einmal auf den Restaurantbesuch verzichten.  

Sehen Sie weitere Ess-Trends? In Japan gibt es ja bereits Wohnungen ohne Küche. 

Tatsächlich werden die Küchen in grossen Ballungszentren wie in Japan oder den USA kleiner. Vor 2 Jahren sah ich in Tokio, wie eingeschränkt dort das Lebensmittelangebot in der Innenstadt ist. Einen «normalen» Supermarkt fand ich kaum vor, dafür diverse Convenience-Stores oder exklusive und hochpreisige Lebensmittelabteilungen in Warenhäusern. So wird ein Menü im Restaurant sogar günstiger, als selber zu kochen. In der Schweiz wird es wohl nicht ganz so weit kommen, dazu fehlen die grossen Ballungsräume. Was aber auch in unserer Gastronomie-Szene an Bedeutung gewinnt, ist die Ästhetik. Sowohl bei der Inneneinrichtung der Lokale als auch bei der Präsentation der Speisen wird immer mehr auf Instagram-Tauglichkeit geachtet – soziale Medien sind schliesslich ein wichtiges Werbetool.

Wie entscheiden wir eigentlich, was wir essen?

Das ist sehr individuell und hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab: Zeit und Geld spielen natürlich eine Rolle, aber auch der persönliche Geschmack, die Gesundheit, ob man bestimmte Diäten oder Ernährungsweisen einhält oder auf einen Marathon trainiert. Auch die Verfügbarkeit ist zentral. Manchmal muss man halt einfach das essen, was gerade da ist.  

Seitenwechsel: Wo liegen Chancen im Online-Foodbereich? 

Wegen der Krise geschlossene Restaurants setzten teils kreative und mutige Lösungen um, damit sie noch etwas verdienten. Einige Gastronomen haben begonnen, ihre Menüs und weitere Produkte online zu verkaufen. Obschon es sich finanziell für sie vielleicht nicht gelohnt hat, kann man es als Investition in die Marke betrachten. Andere Restaurants konnten dank Delivery-Angeboten ihre Kundenbasis erweitern und Menschen ansprechen, die sonst nicht zu ihrer Zielgruppe gehören. Im hart umkämpften Delivery-Markt muss man versuchen, seine Nische zu finden. 

Kaufen Sie selber Lebensmittel online ein? 

Sehr selten. Ich wohne zentral und habe viele Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Die einzige Ausnahme ist der Weinkeller. Wenn wir nicht bei den Produzenten vor Ort vorbeigehen können, setzen wir auf Online-Shopping. So fällt auch die Schlepperei weg...

Appetit auf tiefere Einblicke ums Essen?

Im Jahr 2050 wollen zehn Milliarden Menschen ernährt sein. Wie soll das gehen?

Laut dem European Food Trends Report 2019 «Hacking Food: Die Neuerfindung unseres Essens» braucht es dazu eine umfassende Technisierung. Hier gelangen Sie zur StudieTarget not accessible

verfasst von

Inari Kirchhofer

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