Hintergründe, Corona
Feldpost in der Corona-Krise: Emotionen, Glück und Schoggi für «Soldat Gruss»
Gelber Aufsteller im feldgrauen Alltag: Während des ersten Ernsteinsatzes der Armee seit dem Zweiten Weltkrieg spielte die Feldpost eine wichtige Rolle für die rund 5000 Soldaten und Soldatinnen im Assistenzdienst. Sie versorgte die Armeeangehörigen mit Tausenden von Paketen mit frischer Wäsche, aber auch mit vielen Gruss-Briefen und Fresspäckli.
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Bis zu 15 000 Angehörige der Armee waren in den letzten sechs Wochen im Dienst – neben den regulären Wiederholungskursen und Rekrutenschulen, die letzten Freitag zu Ende gingen, auch rund 5000 Soldaten im ersten Ernstfall seit 75 Jahren: im Assistenzdienst Corona. «Dieses Szenario, die grösste Truppenmobilisierung seit dem Zweiten Weltkrieg», sagt Oberst Fritz Affolter, Chef Feldpost der Armee, «das hätte man sich noch vor wenigen Wochen nicht in den kühnsten Träumen vorstellen können.» Die Soldaten im aktiven Militärdienst in Friedenszeiten wurden unter anderem versorgt von 80 Feldpost-Angehörigen: mit Päckli, Briefen und mit frisch gewaschener Wäsche, die Soldaten durften ja sechs Wochen lang nicht von den Kasernen weg.
«Wir verarbeiteten zum Teil die achtfache Menge an Päckli als üblich», sagt Fritz Affolter. Das hiess in Spitzenzeiten: 40 000 zusätzliche Feldpost-Pakete pro Woche. «Die Soldaten waren ja per SMS aufgeboten worden, da ging vieles vergessen und musste ihnen in den ersten Tagen ihres Assistenzdienstes nachgeliefert werden», so Affolter. Dazu kamen die Hygiene-Auflagen wegen des Corona-Virus und die überlangen Arbeitstage wegen der enormen Brief- und Paketmengen. «Äusserst anspruchsvoll und energiezehrend» seien die letzten Wochen gewesen, «aber das Ganze mit einem sagenhaft motivierten Team!» Und: «Als wir die Freude der Soldaten sahen, wenn sie Unterwäsche, Grüsse und Fresspäckli bekamen – dann motivierte uns dies gleich nochmals.»
Aber nicht nur ihre Familien und Freunde unterstützten die Soldaten und Soldatinnen, ganze Schulklassen zeichneten und schrieben Briefe in dieser ausserordentlichen Zeit für die Armeeangehörigen im besonderen Einsatz.
Mehrbedarf an Bargeld
Einer der dreissig Feldpost-Stützpunkte in der Schweiz ist der Waffenplatz Frauenfeld. Dort waren die letzten Wochen auch der Mobilmachungsplatz für die Sanitätstruppen in der Ostschweiz, welche in den Corona-Dienst einrückten. Zusammen mit der regulären Rekrutenschule, welche wegen Platzmangels ihre Unterkünfte in der näheren und weiteren Region beziehen musste, führte dies zu besonderen Herausforderungen für die Feldpost:
«Am Postschalter in der Kaserne konnten wir für den Zahlungsverkehr nur die Postcard akzeptieren», erzählt Adjutant Unteroffizier Matthias Dürst, der seit 36 Jahren bei der Post und seit 1992 als Chef Feldpost auf dem Waffenplatz Frauenfeld und Umgebung arbeitet. Das führte zu Engpässen in der Bargeld-Versorgung für die Armeeangehörigen, sie konnten die Kasernen ja nie verlassen, um während des Ausgangs einen zivilen Bancomaten zu nutzen. Die Lösung: Banken stellten einigen Kasernen mobile Bancomaten zur Verfügung. Auch von Seiten der Armee war man bemüht, die Situation zu entschärfen und ordnete an, alle 10 Tage einen zusätzlichen Soldzuschlag von 5 Franken pro Armeeangehörigen und pro Tag bar auszahlen zu lassen.
Rätselhafte Schoggi-Sendung
Und dann erreichten am Samstag, 4. April 2020, eine Woche vor Ostern, mehrere schwere Pakete eines Schokoladenherstellers aus dem Berner Jura die Kaserne Frauenfeld. Inhalt: die unterschiedlichsten Sorten von Schokolade in allen Farben und Formen. Das Problem, so Matthias Dürst: «Leider allesamt ohne einen Begleitbrief oder Lieferschein, ganz zu schweigen von einem anderen brauchbaren Hinweis auf den möglichen Endempfänger».
Ohne Endempfänger darf die Feldpost Sendungen nicht weitergeben. Und Sendungen einfach an alle Soldaten der Kaserne zu verteilen, das verbieten die geltenden Weisungen über die Annahme von Spenden und Zuwendungen an die Armee. Die zuständige Stelle in Bern recherchierte – und meldete am Dienstag darauf: Man habe die Person ausfindig gemacht, welche die Sendung gefertigt hätte – und auch den Empfänger könne er melden: Er heisse «Gruss, San Sdt». Als Frauenfelder Chef Feldpost hakte Matthias Dürst beim Büro Schweiz nach und wurde fündig. Tatsächlich gibt es in den Reihen der Schweizer Armee sechs Wehrmänner mit Nachnamen «Gruss», nur: Keiner von ihnen war zurzeit im Dienst. Und so kam es, wie es kommen musste: Der Schokoladeberg durfte am Ende doch an alle Angehörigen des dienstleistenden Spitalbataillons 75 verteilt werden. «Sie haben sich», so Matthias Dürst, «sehr über diese Versüssung gefreut.» Des Rätsels Lösung: Vermutlich hatte einer der Sanitätssoldaten diesen Schokoladehersteller mit einer Karte angeschrieben, um Süssigkeiten für seine Einheit zu erbitten, wohl endend mit den Worten «Gruss, San Sdt».
Am Wochenende sind die Rekrutenschulen zu Ende gegangen, und auch rund die Hälfte der Soldaten und Soldatinnen im Corona-Einsatz durfte nach Hause. Für die verbleibenden Armeeangehörigen im Assistenzdienst geht der feldgraue Alltag weiter – vorläufig weiter, immer wieder aufgehellt durch Päckli und Briefe von der Feldpost.