Hintergründe, Menschen

Winterromantik auf dem Postschlitten

Im Winter bringt Hans von Allmen die Post mit dem Hornschlitten. Was für ausländische Touristen wie Folklore anmutet, ist in der kalten Jahreszeit die beste Möglichkeit, um zu den entlegenen Häusern zu gelangen.

Stefan Kern

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Hans von Allmen sitzt auf seinem Schlitten.
Copyright: Stefan Kern

«Der trägt so wirklich die Post aus?», fragen sich zwei Touristen auf Englisch verdutzt, als Hans von Allmen mit dem Schlitten an ihnen vorbeizieht. Kaum sind die Worte ausgesprochen, verhallen sie auch schon wieder. Der Schnee schluckt den Schall. Die Luft ist kalt und trocken. Während sich Touristen im Schweizer Winterwunderland wähnen, bleibt für Hans wenig Zeit, den Details Aufmerksamkeit zu schenken. Für ihn ist das keine Show für Feriengäste, sondern Alltag.

Hans, das ist der Pöstler von Mürren und Gimmelwald. Die beiden Kurorte aus dem Berner Oberland sind autofrei, was aber nicht bedeutet, dass die Post nur mit dem Schlitten ausgetragen wird. Mürren liegt auf einer Sonnenterrasse hoch über dem Lauterbrunnental auf 1650 Metern Höhe über Meer. Gimmelwald liegt rund 300 Meter tiefer. «Früh morgens trage ich in Mürren die Post mit dem Elektrofahrzeug aus», erklärt Hans, «danach bringe ich die Post runter nach Gimmelwald. Mit dem Schlitten geht dies im Winter einfach besser.»

Von Winterromantik und harter Arbeit

Als Hans die Post in Mürren verlässt, stapeln sich die Kisten auf seinem Hornschlitten. Gut festgezurrt, zieht er die Ware durchs Dorf. Mit der schweren Last im Schlepptau überholt er zur Seilbahnstation pilgernde Feriengäste. Manche sind vom Tragen ihrer Skis bereits so erschöpft, dass sie ihn als willkommene Einladung sehen, eine Pause einzulegen. Unbeabsichtigt macht er für die Staunenden das Bild einer urtümlichen Bergwelt so perfekt wie die Gondoliere die Ferienfotos aus Venedig. Zeit für Romantik hat Hans hingegen keine. Auf ihn wartet wortwörtlich eine volle Ladung Arbeit.

Beladener Schlitten vor der Post
Die Fracht ist gesichert, die Pakete sind festgezurrt. Nach einem letzten Check geht es los. (Copyright: Stefan Kern)

Im Kurort herrscht im Februar Hochbetrieb. Alleine in Mürren fallen auf die 380 Einwohnenden jeden Winter rund 70 000 Logiernächte – viele davon in Ferienhäusern. «Die Leute leiten ihre Post hierher weiter. Ausserdem bestellen auch die Einheimischen gerne im Internet. Es ist halt viel praktischer, weil wir hier etwas entlegen sind», erklärt Hans. Was er damit meint, wird bei der Anreise auf die Sonnenterrasse deutlich. Erreichbar sind die beiden Orte nur mit der Seilbahn. Bis zum nächstgrösseren Ort Interlaken dauert die Fahrt mit dem öV rund eine Stunde.

Mehr als 30 Jahre Erfahrung

Hans hat nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Routine. Die langjährige Erfahrung hilft ihm, wenn er seinen «Horu» um die engen Kurven steuert. Er weiss auf den Meter genau, wann er seinen Fuss zu Boden setzen muss, um zu bremsen und kennt jedes Hindernis aus dem Effeff. Seit über 30 Jahren ist er Pöstler hier. Seine Schlittelstrecke kennt er so auswendig wie ein Bobpilot seinen Eiskanal – nur mit dem Unterschied, dass es hier gemächlicher zu- und hergeht. Etwas färbt die Ferienstimmung dann doch auf die Arbeit ab und die Sicherheit steht immer an oberster Stelle.

Einer von hier

Unterdessen drückt die Mittagssonne. Hans zieht seine Jacke aus und läuft im T-Shirt durch den Schnee. Vorbei an Chalets, die so pittoresk sind, dass sie die Herzen von Instagrammerinnen und Instagrammern höherschlagen lassen. Warm geben aber auch die Fussmärsche. «Manche Höfe liegen bis zu zehn Minuten von der Strasse entfernt», erklärt Hans. Wie viele Höhenmeter er dabei täglich zurücklegt, wisse er nicht.

Hans auf dem Weg zurück von einem entlegenen Bauernhaus.
Das Gelände abseits der Hauptstrasse ist weitläufig. Hans kennt hier seit Kindesbeinen an jeden Meter. (Copyright: Stefan Kern)
Blick nach unten zu einem Bauernhaus
Aus der Puste kommen verboten – zumindest, wenn man den Zeitplan einhalten will. (Copyright: Stefan Kern)

Hans kennt es nicht anders. Von Kindesbeinen an bewegte er sich in diesem Gelände. Er ist in Gimmelwald aufgewachsen. Er ist einer von hier. Auf der Tour kommt er auch an seinem eigenen Haus vorbei. Zeit für eine Einkehr bleibt indes nicht. «Die Bergbahn hoch nach Mürren fährt in zwei Minuten», sagt er, ohne auf seine Uhr zu schauen. Fast scheint es so, als ob er die Zeit am Sonnenstand am Horizont der 4000er um ihn herum ablesen könnte.

Hans schliesst eine Tür hinter sich. (Copyright: Stefan Kern)
Hans legt die Post bisweilen auch mal in den Eingangsbereich der Häuser. Man kennt sich hier ohnehin. (Copyright: Stefan Kern)

Das Normalste der Welt – oder etwa nicht?

Rund zwei Stunden beträgt die Tour von Mürren nach Gimmelwald. Dann wuchtet er seinen Schlitten in die Bergbahn und grüsst freundlich den Gondelführer – man kennt sich ja. Welches Fazit zieht er von seiner heutigen Tour? «Heuer liegt nicht so viel Schnee. Letztes Jahr kam ich teilweise fast gar nicht zu den Häusern.» sagt er, als wäre es das Normalste der Welt, dass sich ein Postbote mit Hilfe seines Hornschlittens durch den Schnee kämpfen muss. Das ist es – zumindest für Hans. Es ist sein Alltag. Und würde er den Touristen vom Beginn seiner Tour nochmals begegnen, könnte er sagen: «Ja, ich trage wirklich so die Post aus.»

Hans vor einer malerischen Bergkulisse.
Eine Szenerie, welche die Augen von Instagrammerinnen und Instagrammern zum Leuchten bringt. Für Hans ist es das Normalste der Welt. (Copyright: Stefan Kern)

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Stefan Kern

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