Menschen
Rio und seine ganz besondere Brieffreundin
Studierende der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik Luzern bringen zwei Generationen zum Briefe schreiben zusammen. Das Projekt wird von der Urner Gesundheitsförderung, Pro Senectute und der Primarschule Seedorf weitergeführt. Ein Gewinn für beide Seiten, wie die Brieffreundschaft von Rio (13) und der 70 Jahre älteren Marie zeigt.
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«Ich heisse Rio und bin 13 Jahre alt. Wie alt sind Sie eigentlich? Ich wohne in Seedorf im Kanton Uri. Ich bin halb Australier. Dort ist es ein bisschen wärmer als in der Schweiz.» Mit diesen Worten hat die Brieffreundschaft zwischen Rio und der Seniorin Marie Arnold begonnen. Mittlerweile wurden mehrere Briefe hin- und hergeschickt, und das Tandem hat sich bereits einmal auf dem Schulhof getroffen. Heute besucht Rio seine Brieffreundin im beschaulichen Isenthal unweit von Seedorf, das nur über eine enge Bergstrasse zu erreichen ist. «Hier oben könnte ich nur wohnen, wenn Familie und Freunde auch in der Nähe sind», überlegt Rio als das schmucke Chalet mit den Geranien auf den Fenstersimsen in Sichtweite kommt.
Zwei Welten, eine Brieffreundschaft
Marie Arnold steht schon vor der Tür und winkt. Sie freut sich, «ihren» Brieffreund persönlich zu treffen. Unter einem grossen Baum stehen ein Gartentisch und zwei Bänke aus Holz. «Willst du Rivella oder Wasser, Rio?» Marie hat selbst sieben Enkelkinder und weiss, was die Jungmannschaft mag. Sie lächelt: «Es ist schön, in den Briefen eine andere Lebensweise zu erfahren.» Rio ist in Australien geboren und kam mit drei Jahren in die Schweiz. Am Familientisch wird Englisch gesprochen. «Ich finde es beeindruckend, wenn man zweisprachig aufwächst», sagt Marie. Und vor allem, dass er in seinem Alter schon mehrmals um die halbe Welt gereist sei. «Was meinst du, wie oft bin ich schon geflogen?» Rio zuckt mit den Schultern. «Erst einmal, nämlich nach Teneriffa.» Sie ist im 600-Seelendorf als Bauerntochter aufgewachsen und geblieben. «Wir haben hier oben einen Laden mit Postservice und stündlich einen Bus ins Tal», erklärt die 83-Jährige. «Komm, wir gehen ins Haus.»
Der Blick in die Ferne
In der Küche kocht sie Kaffee und tischt leckere Krapfen auf. Das gehe ganz einfach, sagt sie. «Blätterteig, Birnenweggenfüllung drauf, mit dem Holz, das mein Mann extra für mich gefertigt hat, akkurat Rauten ausschneiden und ab in den Ofen.» Rio schmeckts. «Es ist schön, nicht immer nur mit dem Handy zu schreiben», meint der Schüler und schaut auf seine Briefe, die auf dem Küchentisch liegen. Aber komisch sei es schon, wenn eine Mitteilung erst am nächsten oder übernächsten Tag bei der Empfängerin ankomme. Er hat sich besonders viel Mühe gegeben beim Schreiben, damit Marie den Brief auch gut lesen kann.
Mit ihrer Schnürlischrift hatte er anfänglich etwas zu kämpfen. «Das lernen wir ja in der Schule heute nicht mehr.» Eigentlich mag er den Deutschunterricht nicht besonders, doch bei dieser Aufgabe sei er viel motivierter gewesen: «Weil man weiss, dass das Geschriebene jemand liest.» Ob die Brieffreundschaft derweil noch andauern wird, ist den Beteiligten freigestellt. Rio kann sich gut vorstellen, Marie in Zukunft eine Postkarte aus den Ferien zu schreiben. Damit auch sie ab und zu einen Blick in die weite Welt erhaschen kann.